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7.1 Beispiel:   Kollisionen zwischen Shapes
7.2 Programmentwurf mit ADTs
7.3 Refactoring von algebraischen Datentypen

7 Datendefinition durch Alternativen und Zerlegung: Algebraische Datentypen

In den letzten beiden Kapiteln haben wir zwei neue Arten von Datendefinitionen kennengelernt: Summentypen (in Form von Aufzählungen und Intervallen), mit denen man zwischen verschiedenen Alternativen auswählen kann. Produkttypen (in Form von Datendefinitionen für Strukturen), mit denen man Daten zerlegen kann.

In vielen Fällen ist es sinnvoll, Summen und Produkte miteinander zu kombinieren, also zum Beispiel Summentypen zu definieren, bei denen einige Alternativen einen Produkttyp haben; oder Produkttypen bei denen einige Felder Summentypen haben.

Kombinationen von Summen- und Produkttypen nennen wir algebraische Datentypen, kurz ADT.

7.1 Beispiel: Kollisionen zwischen Shapes

Nehmen Sie an, Sie möchten ein Computerspiel programmieren, in dem Spielfiguren in unterschiedlichen geometrischen Formen vorkommen, zum Beispiel Kreise und Rechtecke. Diese können wir beispielsweise so modellieren:

Wir wählen den Namen gcircle (für geometric circle) um keinen Namenskonflikt mit der circle Funktion aus dem image.ss Teachpack zu haben.

(define-struct gcircle (center radius))
; A GCircle is (make-gcircle Posn Number)
; interp. the geometrical representation of a circle
 
(define-struct grectangle (corner-ul corner-dr))
; A GRrectangle is (make-grectangle Posn Posn)
; interp. the geometrical representation of a rectangle
; where corner-ul is the upper left corner
; and corner-dr the down right corner

Das interessante an diesen beiden Definitionen ist, dass Kreise und Rechtecke viele Gemeinsamkeiten haben. Beispielsweise können beide verschoben, vergrößert oder gezeichnet werden. Viele Algorithmen sind für beliebige geometrische Formen sinnvoll und unterscheiden sich nur in den Details. Nennen wir die Abstraktion, die beliebige geometrische Figuren bezeichnet, beispielsweise Shape. Nehmen wir an, wir haben bereits eine Funktion, die für beliebige geometrische Formen bestimmen kann, ob sie überlappen:

; Shape Shape -> Boolean
; determines whether shape1 overlaps with shape2
(define (overlaps shape1 shape2) ...)

Auf Basis dieser und ähnlicher Funktionen können wir weitere Funktionen programmieren, die völlig unabhängig vom konkreten Shape (ob Kreis oder Rechteck) sind, beispielsweise eine Funktion, die für drei Shapes testet ob sie paarweise überlappen:

; Shape Shape Shape -> Boolean
; determines whether the shapes overlap pairwise
(define (overlaps/3 shape1 shape2 shape3)
  (and
   (overlaps shape1 shape2)
   (overlaps shape1 shape3)
   (overlaps shape2 shape3)))

Die Funktion overlaps muss zwar unterscheiden, was für eine genaue Form ihre Parameter haben, aber die Funktion overlaps/3 nicht mehr. Dies ist eine sehr mächtige Form der Abstraktion und Code-Wiederverwendung: Wir formulieren abstrakte Algorithmen auf Basis einer Menge einfacher Funktionen wie overlaps und können dann diese Algorithmen auf alle Arten von Shapes anwenden.

Die Funktion overlaps/3 steht also wirklich für eine ganze Familie von Algorithmen: Je nachdem, was für Shapes ich gerade als Argument verwende, machen die Hilfsfunktionen wie overlaps etwas anderes, aber der abstrakte Algorithmus in overlaps/3 ist immer gleich.

Schauen wir uns nun an, wie wir Datentypen wie Shape und Funktionen wie overlaps definieren können. Um die Menge der möglichen geometrischen Figuren zu beschreiben, verwenden wir einen Summentyp, dessen Alternativen die Produkttypen von oben sind:

; A Shape is either:
; - a GCircle
; - a GRectangle
; interp. a geometrical shape representing a circle or a rectangle

Nicht alle Algorithmen sind wie overlaps/3 sie sind unterschiedlich je nachdem welches Shape gerade vorliegt. Wie bereits aus dem Entwurfsrezept für Summentypen bekannt, strukturieren wir solche Funktionen, indem wir eine Fallunterscheidung machen.

Beispiel:

; Shape Posn -> Boolean
; Determines whether a point is inside a shape
(define (point-inside shape point)
  (cond [(gcircle? shape) (point-inside-circle shape point)]
        [(grectangle? shape) (point-inside-rectangle shape point)]))

In dieser Funktion fällt auf, dass in den Zweigen des cond Ausdrucks Hilfsfunktionen aufgerufen werden, die wir noch implementieren müssen. Man könnte stattdessen die Implementation dieser Funktionen auch direkt in den cond Ausdruck schreiben, aber wenn die Alternativen eines Summentyps Produkte sind, so werden diese Ausdrücke häufig so komplex, dass man sie besser in eigene Funktionen auslagern sollte. Außerdem ergeben sich durch die Auslagerung in separate Funktionen häufig Gelegenheiten zur Wiederverwendung dieser Funktionenen.

In unserem Beispiel sehen die Implementationen dieser Hilfsfunktionen wie folgt aus:

Ergänzen Sie die Definitionen für vector-length und posn-!

; GCircle Posn -> Boolean
; Determines whether a point is inside a circle
(define (point-inside-circle circle point)
  (<= (vector-length (posn- (gcircle-center circle) point))
      (gcircle-radius circle)))
 
; GRectangle Posn -> Boolean
; Determines whether a point is inside a rectangle
(define (point-inside-rectangle rectangle point)
  (and
   (<= (posn-x (grectangle-corner-ul rectangle))
       (posn-x point)
       (posn-x (grectangle-corner-dr rectangle)))
   (<= (posn-y (grectangle-corner-ul rectangle))
       (posn-y point)
       (posn-y (grectangle-corner-dr rectangle)))))

Bei manchen Funktionen haben gleich mehrere Parameter einen Summentypen. In diesem Fall kann man erst für den ersten Parameter die Fallunterscheidung machen, dann geschachtelt für den zweiten Parameter usw. Häufig kann man jedoch auch die Fallunterscheidungen zusammenfassen. Dies ist beispielsweise bei dem oben angesprochenen overlaps der Fall:

; Shape Shape -> Boolean
; determines whether shape1 overlaps with shape2
(define (overlaps shape1 shape2)
  (cond [(and (gcircle? shape1) (gcircle? shape2))
         (overlaps-circle-circle shape1 shape2)]
        [(and (grectangle? shape1) (grectangle? shape2))
         (overlaps-rectangle-rectangle shape1 shape2)]
        [(and (grectangle? shape1) (gcircle? shape2))
         (overlaps-rectangle-circle shape1 shape2)]
        [(and (gcircle? shape1) (grectangle? shape2))
         (overlaps-rectangle-circle shape2 shape1)]))

Auch hier haben wir wieder die Implementierung der einzelnen Fälle in Funktionen ausgelagert. Die Tatsache, dass wir in den beiden letzten Fällen die gleiche Funktion aufrufen, illustriert, dass diese Hilfsfunktionen die Wiederverwendung von Code fördern. Hier die Implementation der Hilfsfunktionen.

Wenn Sie Spass an Geometrie haben, ergänzen Sie die Implementation von overlaps-rectangle-rectangle und overlaps-rectangle-circle.

; GCircle GCircle -> Boolean
; determines whether c1 overlaps with c2
(define (overlaps-circle-circle c1 c2)
  ; Two circles overlap if and only if the distance of their
  ;  centers is smaller than the sum of their radii
  (<= (vector-length (posn- (gcircle-center c1) (gcircle-center c2)))
      (+ (gcircle-radius c1) (gcircle-radius c2))))
 
; GRectangle GRectangle -> Boolean
; determines whether r1 overlaps with r2
(define (overlaps-rectangle-rectangle r1 r2) ...)
 
; GRectangle GCircle -> Boolean
; determines whether r overlaps with c
(define (overlaps-rectangle-circle r c) ...)

7.2 Programmentwurf mit ADTs

Das Entwurfsrezept aus Abschnitt Entwurfsrezept zur Funktionsdefinition ergänzen wir wie folgt:

  1. Wenn Sie eine Funktion programmieren möchten, die Informationen als Eingabe erhält oder als Ausgabe produziert, die man am besten durch ADTs repräsentiert, so sollten Sie vor dem Programmieren dieser Funktion diesen ADT definieren (falls sie ihn nicht schon im Kontext einer anderen Funktion definiert haben).

    Ein ADT ist dann sinnvoll, wenn in ihrer Problemstellung unterschiedliche Arten von Informationen unterschieden werden, die jeweils als Produkttyp formuliert werden können, die aber ein gemeinsames Konzept repräsentieren.

    Ein wichtiger Punkt ist, dass man Daten mit ADTs hierarchisch organisieren kann. Die Feldtypen der Produkte, die man definiert, können also selber wieder einen ADT haben. Wenn also ein Produkttyp sehr viele Felder hat, oder ein Summentyp sehr viele Alternativen, so deutet dies darauf hin, dass Sie eine tiefere Hierarchie (durch Verschachtelung von ADTs) verwenden sollten.

  2. Im zweiten Schritt, der Definition der Funktionssignatur und der Aufgabenbeschreibung, ändert sich nichts — allerdings können und sollten Sie nun natürlich die Namen der definierten ADTs verwenden.

  3. Bei der Definition der Testcases sollten Sie bei Summentypen mindestens einen Test pro Alternative definieren. Beachten Sie, dass es durch die Schachtelung von Summen- und Produkttypen jetzt möglicherweise viel mehr Alternativen gibt. Bei sehr großen Datentypen ist es unter Umständen nicht mehr realistisch, jede Alternative zu testen, weil im schlechtesten Fall die Menge der Alternativen exponentiell mit der Tiefe des Datentypen wächst.

  4. Bei der Definition des Funktionstemplates gibt es nun zwei Dimensionen: Den Summentyp und die Produkttypen in (einigen seiner) Alternativen.

    Falls wir als äußerstes einen Summentyp haben, so sollten wir zunächst in einem cond Ausdruck alle Fälle unterscheiden.

    Für alle Alternativen, die Produkttypen sind, sollte in der Regel eine Hilfsfunktion definiert werden, die diesen Fall abdeckt. Diese Hilfsfunktion sollten sie in diesem Schritt auch nur (durch erneute Anwendung dieses Entwurfsrezepts) bis zum Template-Schritt implementieren.

    Nur wenn die Implementation dieses Falls wahrscheinlich sehr einfach ist, sollten die Selektoren für die Felder des Produkts in das Template mit aufgenommen werden.

    Allerdings gibt es einen wichtigen Fall, in dem sie keinen cond Ausdruck zur Unterscheidung der Alternativen ins Template aufnehmen sollten, nämlich dann, wenn es möglich ist, die Funktion abstrakt zu formulieren — sie also die Fälle nicht unterscheiden, sondern lediglich bereits existierende Funktionen aufrufen, die auch auf Basis des ADTs implementiert wurden. Als Beispiel haben wir die overlap/3 Funktion gesehen.

  5. In diesem Schritt sollten sie aus dem Template ein lauffähiges Programm machen. Da sie im vorherigen Schritt eventuell Templates für Hilfsfunktionen definiert haben, müssen sie auch diese Hilfsfunktionen nun implementieren.

  6. Testen sie. Falls Tests fehlschlagen, gehen sie zurück zum vorherigen Schritt.

  7. Überprüfen Sie beim Refactoring zusätzlich die neu definierten ADTs. Auch hier kann es Verstöße gegen das DRY-Prinzip geben, z.B. wenn es große Gemeinsamkeiten zwischen ADTs gibt. Gibt es beispielsweise in mehreren Datentypen zwei Felder zur Repräsentation von Koordinaten, so bietet es sich an, stattdessen die posn Struktur zu verwenden. Vermeiden Sie sehr breite aber flache ADTs; die logische Gruppierung der Daten durch eine Hierarchie von ADTs fördert die Wiederverwendbarkeit und Lesbarkeit des Codes.

7.3 Refactoring von algebraischen Datentypen

Algebraische Datentypen sind Kombinationen von Produkttypen und Summentypen. Wie bereits in Schritt 7 des Entwurfsrezepts oben angedeutet, kann es mehrere Arten geben Daten zu modellieren. Manche Lösungen für eine Datenmodellierung zeigen dabei mehr Wiederholungen, als andere und verstoßen damit gegen das DRY-Prinzip.

Wenn wir ein Programm umschreiben können, dass es statt eines Datentyps A nun einen Datentyp B verwendet, und es eine bijektive Abbildung zwischen den Daten, die von A und B beschrieben werden gibt, sagen wir auch A und B sind isomorph.

Beispiel: Betrachten Sie die folgenden drei Definitionen für einen Datentyp Student:
(define-struct student1 (lastname firstname matnr))
; a Student1 is: (make-student1 String String Number)
; interp. lastname, firstname, and matrikel number of a student
 
(define-struct student2 (matnr lastname firstname))
; a Student2 is: (make-student2 Number String String)
; interp. matrikel number, lastname, and firstname of a student
 
(define-struct fullname (firstname lastname))
; a FullName is: (make-fullname String String)
; interp. first name and last name of a person
 
(define-struct student3 (fullname matnr))
; a Student3 is: (make-student3 FullName Number)
; interp. full name and matrikel number of a student                                                                                           

Jede der drei Repräsentationen kann die gleichen Informationen darstellen. Programme, die einen dieser Typen verwenden, können so refactored werden, dass sie einen der beiden anderen verwenden. Was wir an Student1 und Student2 sehen, ist, dass Produkttypen, die sich nur in der Reihenfolge der Komponenten unterscheiden, isomorph sind: Wir könnten zwischen den Datentypen hin- und herkonvertieren,
; Student1 -> Student2
(define (student1->student2 s)
  (make-student2 (student1-matnr s) (student1-lastname s) (student1-firstname s)))
 
; Student2 -> Student1
(define (student2->student1 s)
  (make-student1 (student2-lastname s) (student2-firstname s) (student2-matnr s)))

und wir können Programme, die Student1 verwenden, so refactoren, dass sie stattdessen Student2 verwenden, nämlich indem die entsprechenden Konstruktoren und Selektoren angepasst werden.

Das dritte Beispiel, Student3, zeigt, dass wir Daten gruppieren und in separate Datentypen auslagern können. Auch hier gibt es eine Bijektion und ein offensichtliches Refactoring des Programms.

Wenn wir im allgemeinen Fall solche Typisomorphien betrachten, spielen offensichtlich die verwendeten Namen für die Struktur und die Komponenten keine Rolle. Wir könnten für diesen Zweck Produkttypen so schreiben:

(* String String Number)

statt

; A Student1 is: (make-student1 String String Number)
; interp. lastname, firstname, and matrikel number of a student

Analog dazu können wir Summentypen mit der + Notation beschreiben. Statt

; A UniversityPerson is either:
; - a Student
; - a Professor
; - a ResearchAssociate
; interp. the kind of person you can meet at university.
schreiben wir (+ Student Professor ResearchAssociate).

Achtung: Wir verwenden diese Schreibweise lediglich, um über Isomorphien und Refactorings nachzudenken. In Ihrem Programmcode sollten Sie weiterhin bei der üblichen Schreibweise bleiben!

In dieser Notation können wir die Typisomorphien auf algebraischen Datentypen wie folgt ausdrücken. Wenn X, Y und Z beliebige Typen sind, dann gelten folgende Isomorphien:

; Assoziativität von *
(* X (* Y Z)) = (* (* X Y) Z) = (* X Y Z)
 
; Kommutativität von *
(* X Y) = (* Y X)
 
; Assoziativität von +
(+ X (+ Y Z)) = (+ (+ X Y) Z) = (+ X Y Z)
 
; Kommutativität von +
(+ X Y) = (+ Y X)
 
; Distributivität von * und +
(* X (+ Y Z)) = (+ (* X Y) (* X Z))

Es ist kein Zufall, dass wir mit Typen rechnen als wären es Ausdrücke in der Algebra (daher kommt übrigens der Name "algebraische Datentypen"). Wenn man Summentypen als sogenannte "tagged unions" definiert (also die Alternativen immer durch Tags unterschieden werden können), so geht diese Analogie sogar noch viel weiter. Wenn man beispielsweise die Datentypen, die nur ein einiges Element haben, als 1 bezeichnet und Datentypen mit zwei Elementen (wie Boolean) als 2, gelten auch Isomorphien wie

(+ 1 1) = 2

oder

(+ X X) = (* 2 X)

Die oben stehenden Isomorphien rechtfertigen eine große Klasse von Refactorings von algebraischen Datentypen: Vertauschung von Reihenfolgen, "Inlining" bzw. "Outsourcing" von Datentypen, "Ausmultiplikation" von Produkten.